von Ingo Henning und Inga Zimmermann
Das EuropaCamp der ZeitStiftung startete interaktiv und international versprochen: in einem Visions-Workshop und in Planspielen. Wir möchten selbst mitmachen und die Bedeutung Europas für die (wahrscheinlich eher proeuropäischen) Besucherinnen und Besucher des EuropCamps verstehen. Die Gestalt eines Camps ist naturgemaß etwas, was zusammenkommt und auch Bestand hat. Campen konnten wir hier nicht – aber morgen kommen wir wieder und fragen uns, was uns all die zusammengekommene Expertise vor Ort über die Zukunft Europas verrät.
Vision: Europa 2025
Zunächst finde ich (Inga) mich dabei wieder, zu testen, was meine Vision Europas ist oder vielmehr, ob der Test das bestätigt, was ich denke. Nach einem kurzem Input, in welchem Jean Claude-Junkers Visionen eines Europas (oder doch eher einer Europäischen Union) und Stellungnahmen von Merkel, Macron und Szydlo vorgestellt werden, geht es auch schon direkt an den Test. Das Tolle: Ein Brettspiel, wir bewegen uns mit Spielsteinen über das Spielfeld. Wir tauschen uns darüber aus, warum wir den Spielstein nach links, rechts oder geradeaus ziehen (ja, es entspricht schon irgendwie dem politischen Meinungsspektrum). Ist die heutige EU eine gute Sache? Ganz klar, jein. Fühlst du dich mehr als Europäerin denn als Deutsche? Da ist die Frage, was soll ich wählen? Es gibt jetzt nicht mehr die Möglichkeit, mich zwischen Ja und Nein zu entscheiden. Für mich ist irgendwie klar, dass es ein Ja ist. Aber die Meinungen der anderen am Tisch machen deutlich, dass dieses Gefühl kontextspezifisch zu sehen ist: Außerhalb Europas ist es klarer, sich als europäisch zu bezeichnen.
Und schon wieder, jetzt die Frage, ob es eine gemeinsame Verteidigungspolitik geben sollte oder aber nur einige Staaten ihre Zusammenarbeit verbinden oder aber jede Nation für ihre Verteidigung selbst verantwortlich ist? Wie soll die Kontrolle an den EU Binnengrenzen geregelt sein? Macht mich der Brexit wütend oder sehe ich es als Chance? Noch viel wichtiger, was ist dein Lieblings-GIF? Die Minions, ganz klar! Sie stehen in der Mitte für die gemäßigtere Politik, aber eigentlich ist mir das egal. Ich finde die Minions einfach toll, mag es im Sinne des Spiels sein oder nicht.
„Ich möchte nicht in eine Ecke gesteckt werden“
Am Ende stehen wir mit unseren Spielsteinen in einem Feld, welches sich A, B, C oder D zuordnen lässt (Spoiler: Niemand von den vielleicht 50 Spielenden landet bei D!). Sie stehen für folgende EU-Visionsmodelle eines „Europäischen Hauses“, die von dem Moderationsteam von planpolitik unterschieden wurden:
- Typ A: Das Einfamilienhaus, in dem es keine separaten Steuersysteme sondern nur ein europäisches Steuersystem gibt, Binnengrenzen existieren nicht. Die Europäerinnen und Europäer leben und gestalten gemeinsam.
- Typ B: Die WG, jeder und jede hat ein eigenes Zimmer, welches frei gestaltet werden kann und eine gewissen Privatsphäre bietet. Ebenfalls besteht ein Teil der Wohnung aus Gemeinschaftsräumen und Gemeinschaftseigentum, aus dem Aufgaben bestritten werden. Man lebt zusammen.
- Typ C: Das Reihenhaus, man arbeitet beispielsweise für Dachreparaturen zusammen, bewahrt eine eigene Haushaltskassen. Es wird Tür an Tür, aber getrennt gelebt.
- Typ D: Individuelle Wohneinheiten, die Europäerinnen und Europäer leben getrennt voneinander.
Zum Testergebnis: Wir dürfen uns noch einmal umentscheiden, wenn wir uns nicht in dem identifizierten Typ wiederfinden können, dann geht es in die Ecke A, B, C oder D und schon sehen wird, dass die meisten von uns sich Typ B zuordnen lassen, gefolgt von A und dann C. Klar, es ist nur eine Option, ob wir uns dem Testergebnis entsprechend zuordnen oder uns aber unserem Gefühl nach einem Typ selbst zuordnen. Einige meiner Mitspielerinnen und Mitspieler entschieden sich noch einmal um. Aber wie geht das weiter, wenn man sich denn nie festlegt und sich eigentlich immer umentscheiden kann? Lässt sich das auf die Europäische Union übertragen? Oder ist das wie mit der Bananennorm, die etwas festlegt? Ich muss zugeben, die Argumente für die einzelnen Spielschritte klangen eigentlich bei allen sehr logisch, nur die Ergebnisse variierten zwischen den Visionstypen.

Eine Vision eines europäischen Baumes entsteht
Die Zuordnung in eine Ecke des Raumes zu dem jeweiligen Buchstaben wirft erneut Verwirrung hervor, ein Mitspieler sagt laut: „Ich möchte nicht in eine Ecke gesteckt werden“. Doch niemand kommt herum, wir alle finden uns in neuen Gruppen wieder, in denen wir unsere Vision eines Europas in 2025 auf einem Plakat niederbringen dürfen. Nach einem fantastischen Vorschlag, unser Europa nicht etwa als ein Haus mit einer WG, sondern einem Baum darzustellen, diskutieren wir, was nun Wurzel, Stamm und Blätter unseres Baumes ausmachen. Klar ist, unser Europa 2025 wird ein blühendes Europa sein, welches Früchte trägt. Das lebensspendende Wasser sind die EU-Mitgliedstaaten, welche aus einer gemeinsamen Gießkanne den Baum bewässern. Wichtige Voraussetzungen sind für uns europäische Wahlen, politische Bildung sowie europäische Begegnungen. Eine europäische Identität bzw. Orientierung und Demokratie finden sich im Stamm wieder und die Blätter sind u.a. europäische Minister, eine gemeinsame Politik und eine gemeinsame Verteidigungsarmee (hier mussten wir abstimmen). Auch Großbritannien wird ein Teil unserer Vision sein.
Die Plakate, die die Ergebnisse der aller Gruppen vorstellten, sahen sich am Ende doch irgendwie ähnlich. Schlagworte wie Demokratie, Bildung, Austausch, Gesundheitswesen, Europäische Identität fanden sich viel wieder und so ganz genau wusste ich auch nicht, welches Plakat jetzt welche Vision – A, B oder C, darstellte. Fast, C erkannte ich doch: drei Häuser, nebeneinander, Sicherheit, Binnenmarkt, Wirtschaft. Eine Überschrift: Vision Reihenhaus.
Geplant: Europäische Politik zwischen Überwachung und Bürgerrechten, Solidarität und freiem Markt
Parallel zum Visions-Workshop habe ich (Ingo) am ersten Planspiel des Tages mit dem Titel „Mit Sicherheit frei – Europäische Politik zwischen Überwachung und Bürgerrechten“ teilgenommen. Die Themen betreffen jeden, die Argumente sind kontrovers: Vorratsdatenspeicherung, Übermittlung von Fluggastdaten, Speicherung von Fingerabdrücken bei Einreise in die EU. Eine zufällige Rollenzuordnung sorgte dafür, seine eigene Meinung verlassen und die Argumentation eines bestimmten Mitgliedsstaates vertreten zu müssen. Interessanterweise setzten sich dabei in allen drei Diskussionsgruppen eher die Argumente der Befürworter von mehr Überwachung durch – das Argument der Sicherheit überwiegte also gegenüber dem Argument der Freiheit.
Das gewählte Format des Planspiels, das anschließend auch zum Thema „Competition or Cooperation – Europäische Politik zwischen Solidarität und freiem Markt“ angewendet wurde, passte gut ins Gesamtkonzept der Veranstaltung. Michael Göring, Vorstandsvorsitzender der ZEIT-Stiftung: „Durch die aktive Einbeziehung aller Teilnehmer unter dem Dreiklang Rethink, Reload, Reclaim wollen wir Diskussionen zu der Frage anstoßen: Welches Europa wollen wir?“ Die Planspielorganisatoren fragten eingangs über eine Onlineabstimmung, wie die in dieser Runde leider nur knapp zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer die europäische Sozialpolitik bewerten. Im anschließendem Planspiel galt es, den Entwurf einer gemeinsamen, europäischen Unternehmenssteuer von 24% zu verhandeln. Die gespielten Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedsstaaten kamen am Ende leider zu keiner Einigung und es wurde deutlich, welche Vor- und Nachteile mit einer gemeinsamen Regelung innerhalb der Sozialpolitik einhergehen können. Schnell ist die Rede von einem „Die“ versus dem „Wir“ und nationale Interessen gelangen unter dem Stichwort „Wiederwahl“ in den Fokus. Eine Verbindlichkeit und Fortschritt seien erstrebenswert, man betrachte das Beispiel der Einigung für ein einheitliches Handyladekabel. Doch eine europäische Sozialpolitik ist aktuell eher wenig aussichtsreich, viele aktuelle Verhandlungen enden in unverbindlichen Formen, z.B. in Absichtserklärungen.
… und Hamburg?
Eine Vision für 2025 ist zeitlich gesehen so nah dran am Jetzt, was ist dann? Was kann bis dahin sein? Schwer, sich das jetzt vorstellen zu können. Aber Brexit und Trump und die AfD im Bundestag hätte ich mir auch nicht vorstellen können. Eine Frage stellte ich (Inga) heute zwischendurch: Wo in Europa können wir uns vorstellen zu wohnen? Überall, denn man lebt sich überall ein. Das Wetter ist hier entscheidend und hier gehen unsere Meinungen auseinander. Einige mögen es lieber warm, die anderen eher nicht zu heiß. Bei der Frage nach einer eher europäischen oder deutschen Identität war es sogar von Bedeutung, das Norddeutsche zu betonen. Ach, wenn da nicht die Hamburger Seele spricht – denn neben einigen weiteren gereisten nationalen und internationalen Campbesuchern waren heute viele Hamburger Schülerinnen und Schüler, Studierende, Rentner, Arbeitende oder Freischaffende aus unserer Hansestadt auf #Campnagel.