In Hamburg brennen immer wieder mal Autos. Doch erfahrungsgemäß trifft es stets nur die anderen. Mitte Oktober traf es jedoch keinen anderen, sondern mich. Als ich mit dem Rad an einem Sonntagmorgen nach Hause fuhr, sah ich meinen Polo, den ich zwei Tage zuvor unter der U-Bahn-Brücke nahe des Borgwegs abgestellt hatte. Der Motorbereich ist komplett verkohlt. Um das Auto ist Polizeiband befestigt. Ein Aufkleber erklärt den Wagen zum Tatort und fordert mich als Halter auf, mich bei der Polizei zu melden. Die beiden daneben geparkten Autos haben Folgeschäden erlitten. Die Halterin eines der Wagen ist ebenfalls am Ort des Geschehens, fragt sich, seit wann schon Polos angezündet werden. Früher seien es immerhin nur Porsche oder ähnliches gewesen.
Das frage auch ich mich. Und andere Fragen, so abwegig sie auch sind, ploppen auf. Was, wenn das Auto nicht zufällig gewählt wurde? Ist jemand derart sauer auf mich oder mein Wirken? Mein Auto ist leicht identifizierbar. Auf der Rückseite des Autos kleben zum Beispiel – noch unbeschädigt – der Aufkleber meines Online-Magazins Elbmelancholie und meines neuen Sportvereins hamburg running.
Bei der Polizei kann man mir am Sonntag wenig helfen. Man fragt mich, wie lang das Auto schon stand und geht nach meiner Antwort von Brandstiftung aus. Ich solle mich am nächsten Nachmittag noch einmal melden. Die Versicherung nimmt den Schaden auf und antwortet mir, ein Sachverständiger würde sich melden.
Ich gehe noch einmal zum Wagen und mache einige Fotos mit meiner Kamera. Ständig gehen Leute vorbei. Sie glotzen in meinen Wagen, unterhalten sich über ihn. Ich habe das Gefühl, als würde jeder Passant in meine Privatsphäre eingreifen, auch wenn kaum persönlichen Gegenstände im Auto sind.
Am darauffolgenden Montag passiert nicht viel. Von der Polizei erhalte ich die Durchwahl des ermittelnden LKA-Beamten. Der Polizist, der sie mir gibt, stellt mir, wohl eher aus Interesse oder Höflichkeit denn aus Ermittlungsgründen, die gleichen Fragen wie sein Kollege am Vortag. Kurz zuvor hat mich bereits der Schadensgutachter angerufen. Ob ich mit dem Auto am Dienstag vorbeifahren könne? Ohne Motor gehe das wohl kaum, erwidere ich. Man will sich wieder melden.
Am Dienstag erreiche ich den zuständigen Ermittler beim LKA. Der sagt mir, dass keine Spuren einer Brandstiftung gefunden worden seien, so dass im Bericht von einem technischen Schaden ausgegangen werde, eine Brandstiftung jedoch nicht ausgeschlossen werden könne. Ich erkläre, dass der Polo erst zwei Wochen zuvor beim TÜV war und seitdem keine Flüssigkeiten nachgefüllt worden seien. Zudem stand der Wagen seit Freitagvormittag an dieser Stelle. In Flammen ging er in der Nacht zum Sonntag auf. Wenn TÜV-geprüfte VWs, nachdem sie eineinhalb Tage standen, von alleine in Flammen aufgehen können, dann hat der Konzern deutlich größere Probleme als seine Abgaswerte.
Ich ärgere mich, dass die Ermittlungen bereits eingestellt werden. Man erklärt mir, dass dies letztlich die Staatsanwaltschaft entscheide. Natürlich kann ich selbst nicht ausschließen, dass es keine Täter gibt und es ein Unfall war – allein, ich kann ihn mir nicht logisch erklären. Zudem erfahre ich von Bekannten, dass zur Brandstiftung oft Grillanzünder verwendet werden, die kaum Spuren hinterlassen. Ich wundere mich auch, dass so gar kein polizeiliches Interesse daran besteht, ob das Auto nicht zufällig getroffen sein könnte, immerhin sind meine Adresse und war mein Auto nicht schwer ausfindig zu machen. Doch ich werde kein einziges Mal gefragt, was ich beruflich und privat mache.
Wie gesagt: ich habe keinerlei Anhaltspunkt, dass ich gezielt von jemanden getroffen sein könnte – aber das in Ermittlungen so gar nicht zu erfragen? Auch, dass das Auto direkt unter einer U-Bahn-Brücke und somit unter wichtiger Infrastruktur in Flammen aufging – in Zeiten von Terror: geschenkt. Einen Zeugenaufruf gibt es ebenfalls nicht. Ich unterhalte mich mit Leuten, die vermuten, dass die Polizei vielleicht Brandstiftungs-Statistiken bewusst gering halten will.
Doch ich habe zu diesem Zeitpunkt gar keine Zeit, mir über solche Fragen Gedanken zu machen oder mich über fehlenden Ermittlungseifer zu beklagen. Versicherungstechnisch ist es zudem egal, ob eine Brandstiftung oder ein Defekt vorliegen. Nicht egal sind hingegen die weiteren Anweisungen, die mir die Polizei zwei Tage nach dem Vorfall gibt. Denn neben Job, Ehrenamt und natürlich bin ich gerade auch noch erkältet, kommt nun der Rattenschwanz mit Arbeit: Auf polizeiliche Anordnung soll das Auto innerhalb der nächsten eineinhalb Tage aus dem öffentlichen Raum verschwinden. Das scheint der Polizei deutlich wichtiger, als die Ursache des Brandes.
Wohin das Auto kommt ist der Polizei egal. Der Versicherung jedoch nicht. Denn die will nicht nur den Schaden noch feststellen, sondern braucht auch einige Tage, um den Restwert zu beziffern und zu schauen, ob jemand für diesen bietet. Ich muss also erstmal Abschlepper und noch wichtiger einen Stellplatz organisieren und womöglich bezahlen. Als ich darüber grüble, wohin man das Auto stellen könnte, fällt mir ein, dass ich noch immer ADAC-Mitglied bin, da ich dieses Jahr erneut vergessen habe, zu kündigen. Einige Zeit, nachdem ich eine Mail an den Club schickte, meldet sich ein Vertreter per Telefon. Man könne einen Abschleppdienst kontaktieren, die Kosten für diesen würde der ADAC übernehmen. Der Dienst kann auch mein Auto aufbewahren, der Stellplatz kostet mich jedoch etwas über zehn Euro am Tag.
Als der Abschleppwagen eintrifft, stellt sich heraus, dass nicht einmal mit einem Abschleppdienst der Wagen einfach weg kann. Er steht schließlich unter einer U-Bahn-Brücke. Mit ganz viel Geschick und jeweils nur wenigen Millimetern Raum gelingt es dem Abschlepper, mein Auto zunächst auf den Transporter zu hieven und im Anschluss mit diesem noch unter die Brücke hindurchzukommen. Respekt! Dieses Spektakel lassen sich unzählige Eltern mit Kind, die vorbei kommen, nicht entgehen. Wenigstens die Kleinen hatten etwas Spaß.
Die Sache ist nun zwar aus dem Blick, aber noch lange nicht aus der Welt. Entgegen der ursprünglichen Aussage meldet sich vom Abschleppunternehmen nach Eintreffen des Wagens und auch am Folgetag niemand. Ich muss erst dort anrufen und mich durchstellen lassen. Man teilt mir mündlich den genauen Preis für den Stellplatz mit und fragt, wie lange das Auto dort stehen soll und was damit passiere. Ich weiß es nicht. Die Versicherung oder der Gutachter haben sich nämlich auch seit der letzten Aussage nicht wieder gemeldet. Auch, als ich weitere Unterlagen per Mail schicke und den neuen Standort des Wagens mitteile, erhalte ich keine Antwort. Meine Nachfrage am Tag darauf bleibt ebenfalls unbeantwortet.
Es ist mittlerweile Freitag. Sechs Tage sind seit dem Brand vergangen. Die Reste meines Autos stehen schon drei Tage auf meine Kosten bei einem Abschlepp-Unternehmen. Von Polizei oder Staatsanwaltschaft habe ich nicht wieder gehört. Ich rufe erneut bei der Versicherung an. Dort sagt man mir, dass das nötige Gutachten für die Restwert-Bestimmung noch nicht da sei. Vermutlich wäre das Montag der Fall, dann will ich die Versicherung bei mir melden. Auch erklärt man mir das weitere Verfahren endlich – immerhin hab ich sowas noch nie mitgemacht: Sobald das Gutachten fertig sei, teile man mir mit, wer als potentielle Käufer für den Restwert in Frage komme. Den Verkauf müsse ich dann selbst organisieren. Erstattet bekäme ich den Wert eines vergleichbaren Fahrzeugs (natürlich vor dem Brand) am Markt, abzüglich des Restwertes, den ich eventuell bekommen kann, und der Selbstbeteiligung.
Ich hoffe demnach, dass der Restwert über dem Betrag liegt, den ich dafür bezahlen muss, den Schrott aufzubewahren – und das der Schrottverkauf auch wirklich funktioniert. Kurz nach dem Telefonat bekomme ich überraschend doch bereits das Gutachten. Der Betrag, den mir die Versicherung überweisen will, liegt über dem, was ich erwartet hatte. Für meinen Schrott werden derweil genau 333 Euro geboten. Da es schon spät am Freitag ist, erreiche ich beim Abschleppunternehmen niemanden mehr. Die Restwertbörse macht mir aber immerhin schon den Kaufvertrag fertig. Dann vergeht ein weiteres Wochenende.
Montag bin ich mit sonstigen Terminen gebunden, so dass ich außer ein Telefonat mit dem Abschleppunternehmen nichts in der Sache unternehmen kann. Erst am Dienstag, wir befinden uns an Tag 10 nach dem Brand, ist wieder Auto-Tag: Ich fahre mit Rad und Bahn zum Abschleppunternehmen. Dort zahle ich schon mal rund 100 Euro für die bisher angefallenen Standplatz-Gebühren. Verrechnet man Standgeld und das Geld, das ich für den Schrott bekomme, mache ich damit noch gerade einmal 200 Euro. Und das auch nur, weil das Abschleppen meines Wagens vom ADAC bezahlt wurde. Rechnet man die Zeit mit ein, die ich für den Schrott aufwenden muss und die ich sonst hätte arbeiten können, mache ich bereits jetzt Miese.
Ich nehme beim Abschleppunternehmen die Kennzeichen mit – bzw. das was davon übrig geblieben ist. Damit geht es zu den Landesbetrieben Verkehr. Immerhin muss mein Auto noch abgemeldet werden, da der Käufer den Schrott ins Ausland bringt und ich keine Garantie habe, dass er den Wagen ab- oder ummeldet. Die Abmeldung kostet mich übrigens 7,70 Euro. Bevor ich auch nur einen Euro von irgendwo bekommen habe, kann ich überall fleißig zahlen. Mit den entwerteten Fahrzeugpapieren geht es zurück zum Abschleppunternehmen. Dort werden Kaufvertrag zum Gegenzeichnen durch den Käufer und die Papiere hinterlegt. Ich bin von dieser Tour gerade zurück Zuhause, da bemerke ich, dass ich vergessen habe, die Schlüssel mit abzugeben. Also noch mal eine halbe Stunde hin, Schlüssel abgeben und eine halbe Stunde zurück.
Immerhin. Am Tag darauf kommt das Geld von der Versicherung. Es ist also eineinhalb Wochen nach dem Schadensfall auf meinem Konto. Mein Schrott wird am Ende der Woche, an der ich das Auto abgemeldet habe, abgeholt. Der Käufer übernimmt die übrigen Stellplatzkosten. Nach einer weiteren Tour zum Abschleppunternehmen, um den gegengezeichneten Kaufvertrag abzuholen, ist zumindest von meiner Seite endlich alles erledigt – nach mehr als 14 Tagen permanenten Stress. Ich warte nur noch auf das Geld für den Schrott, mittlerweile seit zwei Wochen.
Neu ein setzt dafür der Aufwand, ein Ersatzfahrzeug zu finden. Dass ich bei einem vergleichbaren Wagen trotz dem Geld der Versicherung noch vierstellig draufzahlen muss, ist mir mittlerweile genauso klar, wie dass die Suche nach einem passenden Auto ebenfalls viel Zeit in Anspruch nimmt und erneuten Papierkram beinhaltet. Und ich kann nur hoffen, dass dieses nicht erneut Ziel eines Anschlages wird. Von der Polizei, beziehungsweise der Staatsanwaltschaft höre ich derweil nur noch ein einziges Mal: Ich erhalte einen Brief, in dem mir schriftlich bestätigt wird, dass jedwedes Verfahren eingestellt wurde, weil man keinen Täter gefunden habe.