Hamburgs Sport auf dem Scheideweg

Bilder: Andreas Grieß, Inga Zimmermann / Grafik: Andreas Grieß
Sport

Die olympischen und paralympischen Spiele werden in absehbarer Zeit nicht nach Hamburg kommen. Dennoch ist Hamburg eine Sportstadt – zumindest betonen das Funktionäre und Politiker gerne. Diesen Monat finden in der Sporthalle Alsterdorf die Deutschen Judo-Meisterschaften statt. Im Sommer werden an gleicher Stelle die Meisterschaften der Turner ausgetragen. Das Reittunier wie auch das Tennis-Turnier sind über die Grenzen bekannt. Marathon und Alsterlauf, Triathlon und Cyclassics locken regelmäßig neben den Teilnehmern auch viele Zuschauer an die Strecke. Und der lokale Sport? Der Hamburger SV ist einer der größten Sportvereine überhaupt, betrachtet man die Mitgliederzahlen. Es gibt einen Erstliga- und einen Zweitliga-Fußball-Verein in Hamburg. Oft sogar erfolgreichen Erstliga-Sport bieten Teams im Feld- wie Eishockey, im Handball und Volleyball. Auch die Beachvolleyballer sind erfolgreich und im Basketball etabliert sich mit den Hamburg Towers gerade ein Team mit Erstliga-Perspektive. Auch Rudern und Kanu haben große Tradition in unserer Stadt.

Also alles super? Von wegen! Fast alle Veranstaltungen und Vereine operieren auf Kante. In der Tendenz geht oftmals der Daumen nach unten: Beispiel HSV Handball: Der Ex-Meister und Ex-Champions-League-Sieger war lange Zeit angewiesen auf einen einzelnen Sponsor und hat kürzlich ein Insolvenzverfahren eröffnet. Zukunft: ungewiss. Zwangsabstieg oder vollständiges Aus: wahrscheinlich. Beispiel: VT Aurubis Hamburg. Die Volleyballerinnen sind derzeit im Abstiegskampf der Bundesliga, doch ob der sportliche Klassenerhalt überhaupt etwas bringt, bleibt zweifelhaft, da der Namenssponsor abspringt und bislang kein Nachfolger bekannt gegeben werden konnte. Kommt kein Geld aus anderer Quelle, war es das mit dem Erstliga-Spielbetrieb.

Handball_Final4_Siegerehrung Buxtehude

2015 gewannen die Handballerinnen aus Buxtehude den Pokal. Das Finale fand in der Sporthalle Alsterdorf statt. An Sponsoren fehlt es den Frauen wie auch den Männern, wenngleich der Fall bei ihnen derzeit nicht so groß ausfällt.

Die Zweitliga-Basketballer der Hamburg Towers legen gerade eine starke Saison hin und gelten wirtschaftlich eigentlich als Positivbeispiel. Die Verantwortlichen haben den Club immerhin aus dem Nichts geschaffen. Doch nun, da ein sportlicher Aufstieg zumindest möglich erscheint, werden erstmals die Grenzen besonders deutlich. Der sportliche Leiter Marvin Willoughby bekräftigte zwar jüngst den Anspruch, mittelfristig Erstliga-Basketball in Hamburg auszutragen, betonte aber im gleichen Atemzug, dass die wirtschaftlichen Bedingungen dafür noch nicht zwingend vorliegen. Und auch auf Veranstalter-Seite gibt es Beispiele: Sowohl die Cyclassics als auch das Tennis-Turnier am Rothenbaum verloren jüngst ihren jeweiligen Titelsponsor. Beide Events konnten noch nicht mit einem neuen Partner auftrumpfen und es ist fraglich, ob vergleichbare finanzielle Summen aufgebracht werden können.

Der größte Sponsor ist in der Regel die Oma

Klar, in einigen Fällen wurde schlecht gemanaged. In einigen Fällen wäre sicher noch Potential abzugreifen. Doch all das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Situation in vielen Sportarten und Vereinen prekär ist. Und das gilt bei Weitem nicht nur für die Spitze. Im Gegenteil: Die kleinen Vereine und Teams sind oftmals noch schlechter dran. In vielen Fällen sind sie abhängig von einer ganz kleinen Anzahl an Personen, die ehrenamtlich einen Großteil der Arbeit erledigen. Sind diese im Job stärker eingespannt, brechen Strukturen weg. Sind die aktiven Vereinsmitglieder Rentner, hängt die Gesundheit des Vereins oftmals eins zu eins mit der Gesundheit der betreffenden Ehrenamtler zusammen.

„Alle vier Jahre sind wir eine Ware, die dazu da ist, Deutschland stolz zu machen. […] Für die Voraussetzungen solcher Bestleistungen interessiert sich vier Jahre lang kein Mensch.“ Hockey-Nationalspieler Moritz Fürste

Der größte Sponsor in kleinen Vereinen ist in der Regel die Oma eines Schülers. Macht der statt dem Sport künftig lieber Gitarrenunterricht, ist das Geld schnell futsch. Und wer kann es ihm verachten, wo doch selbst nationale Titel in vielen Sportarten, verbunden mit hohem zeitlichen und oft auch finanziellen Aufwand, weniger gesellschaftliche Anerkennung bekommen als die Instagram-Bilder einiger drittklassiger Hobbysportler oder Beautyblogger. Hockey-Nationalspieler Moritz Fürste betonte jüngst in einem Interview mit der Zeit die groteskte Erwartungshaltung gegenüber Spitzensportlern. Während sich zwischen den Olympischen Spielen keiner für ihre Traininsgbedingungen interessiere und die enstprechenden Großevents und Verbände vor der Haustür abgelehnt werden, werde gleichzeitig erwartet, dass die deutschen Athleten doch bitte möglichst viele Medaillen holen – und bei Niederlagen auf sie geschimpft.

Veranstaltungen wie der Women's Run erfreuen sich großer Beliebtheit

Veranstaltungen wie der Women’s Run erfreuen sich großer Beliebtheit

„Deutschland hat fast nur Fußball, es fehlt die Wertschätzung für andere Sportarten.“ – Volleyball-Bundestrainer Vital Heynen

Volleyball-Bundestrainer Vital Heynen sagte jüngst in einem Interview mit der Welt: „Deutschland hat fast nur Fußball, es fehlt die Wertschätzung für andere Sportarten.“ Er ist Belgier. Im Zuge des Olympia-Referendums betonten auch viele andere Sportler, dass die Wertschätzung in anderen Staaten deutlich höher sei als in Deutschland. Was über Jahre hinweg in unserem Land beinah unbemerkt und als willkommene Nebenwirkung zum Grundgerüst gesellschaftlicher Bildung, Integration und Charakterbildung beigetragen hat, bricht langsam weg. Auch in Hamburg. Verantwortlich dafür sind viele parallel verlaufende Entwicklungen. Kinder verbringen mehr Zeit pro Tag in der Schule. Mehr Eltern sind alleinerziehend und können so neben Job und Haushalt nicht noch ehrenamtlich in Vereinen tätig sein. Fitness-Apps und Funsportarten erscheinen vielen Breitensportlern, vor allen in Großstädten, attraktiver als der traditionelle Vereinssport. Hinzu kommt: Durch das Wegfallen von Veranstaltungen und Vereinen aus der Spitze entfallen Identifikationsfiguren, die früher oftmals junge Talente zum Sport motivierten.


Mehr visualisierte Zahlen zum Vereinssport in Hamburg haben wir hier.

Ob dies alles letztlich eine so große Tragödie ist, wie sie sich für einige Sportler anfühlt oder schlichtweg nur ein normaler gesellschaftlicher Wandel, darüber lässt sich streiten. Dass es Verschiebungen gibt, ist aber deutlich – und mit ihnen verbunden sind Herausforderungen. Wir bei Elbmelancholie wollen im Jahr nach dem Nein zu Olympia einen besonderen Fokus auf die Rolle des Sports in Hamburg richten. Dazu wollen wir verstärkt über den Status Quo in vielen Sportarten in der Stadt berichten und nach Möglichkeit auch zu verschiedenen Landesmeisterschaften Beiträge verfassen. Unterstützung in diesem Vorhaben durch Experten im jeweiligen Sport ist uns sehr willkommen.

25. Februar: Diskussion mit Spitzensportlern auf der Social Media Week

Auf der Social Media Week werden wir zudem eine Diskussionsrunde veranstalten, die sich mit der Frage beschäftigt, wie Sportvereine und Einzelsportler in Hamburg, vor allem mit dem Internet, Fans und Sponsoren erreichen können. Wir werden mit den Teilnehmern darüber sprechen, womit sie gute Erfahrungen gemacht haben und wo sich Chancen ergeben. Aber auch darüber, welche Versuche kläglich gescheitert sind und wo es noch zu experimentieren gilt. Uns interessiert zudem, ob Aufmerksamkeit nur über Personalisierung funktioniert, oder ob man auch Sponsoren und Fans gewinnen kann, ohne Einblicke ins Privatleben liefern zu müssen?

Facebook_HSV

Social Media Aktivitäten sind für Vereine und Sportler mittlerweile unverzichtbar. Social Media-affine Hobbysportler erreichen hier mehr Menschen als mancher Olympionike.

Ihre Teilnahme an der Diskussion haben bereits zugesagt Leichtathletin Andrea Diethers (Hamburger Meisterin über 10km, Halbmarathon und Marathon und “ASICS Frontrunner”), Rudererin Sylvia Pille-Steppat (WM-Teilnehmerin 2014 und 2015 mit dem Ziel, 2016 bei den Paralympischen Spielen in Rio dabei zu sein), sowie Andreas Kitzing, CEO von Sponsoo, einem Hamburger Startup, das Sportvereine und Sponsoren zusammen bringen will. Aller Voraussicht nach wird zudem ein Vertreter der Hamburg Towers (Basketball) dabei sein. Angefragt ist auch eine Teilnahme des VT Aurubis Hamburg (Volleyball).

Stattfinden wird das Gespräch am Donnerstag, dem 25. Februar von 18:00 – 19:00 Uhr in der Macromedia Hochschule (Eventraum). Über eine rege Teilnahme am Event würden wir uns sehr freuen. Die Anmeldephase für die kostenlose Session bei der Social Media Week Hamburg ist diese Woche gestartet. Hier gibt es auch weitere Informationen zur Diskussionsrunde und den Teilnehmern. Falls die Veranstaltung ausgebucht sein sollte, nicht verzagen: Meist werden später noch weitere Plätze vergeben. Am besten direkt mitvormerken und anmelden: Direkt im Anschluss findet an gleicher Stelle die Session „The state of digital Sport in 2016“ statt, mit der es thematisch sicher einige Schnittmengen gibt.

Über

Andreas kam 2010 zwei Monate für ein Praktikum nach Hamburg. Im Sommer 2012 kehrte er nach abgeschlossenem Studium zurück, um hier als Journalist zu arbeiten. Twitter: @youdazandreasgriess.de Redaktionsleiter von Elbmelancholie

3 Kommentare

  1. Pingback: Sechs Thesen zum Sport in 2024 - Andreas Grieß

Schreibe einen Kommentar


Captcha: Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.