Olympia 2024: Ja oder Nein?

Bilder: Björn Köcher / St. Bergweh
Olympia in Hamburg

Björn Köcher steht zusammen mit knapp 1,3 Millionen anderen wahlberechtigten Hamburgern vor einer wichtigen Entscheidung: „JA“ oder „NEIN“ zur Bewerbung Hamburgs um die Olympischen Spiele 2024. Das entsprechende Bürgerschaftsreferendum startet in diesen Tagen. Warum eine unbeeinflusste Entscheidungsfindung kaum möglich ist und warum er – obwohl er selbst gegen die Bewerbung ist – alle Hamburger unabhängig von ihrer persönlichen Meinung aufruft, abzustimmen, verrät er im folgenden Gastbeitrag.

Es klingt wie der Titel des zweiten Teils von George Orwells Erfolgsroman. Statt „1984“ heißt es nun „2024“. Inhaltlich würde es sogar passen, denn auch 40 Jahre später rasen wir irgendwie auf eine dystopische Story zu – Gehirnwäsche inklusive. Dieses Mal spielt die Geschichte jedoch in Hamburg, statt in Ozeanien, und ist real, keine Fiktion. Statt der totalen Überwachung, schweben die Olympischen Sommerspiele in den Augen ihrer Kritiker bedrohlich über unserer Stadt. Und statt dem Großen Bruder und der Gedankenpolizei, spielen IOC und verschiedene Interessenvertreter ihre Macht aus. Es geht um die Bewerbung des Deutschen Olympischen Sportbundes und der Freien und Hansestadt Hamburg um die Ausrichtung der Olympischen und Paralympischen Spiele im Jahr 2024. So steht es auf dem Stimmzettel, der in diesen Tagen im Rahmen eines Bürgerschaftsreferendums in die Hamburger Haushalte flattert. „Weil die Chance nie wieder kommt“ und „Hamburg nur gewinnen kann“, wie uns gerade gefühlt jedes zweite Straßenplakat weismachen will.

Nur wenn das Referendum am 29. November 2015 mit mehr Ja- als Nein-Stimmen endet und mehr als 20 Prozent der Wahlberechtigten ihr Kreuz bei „Ja“ setzen, wird sich Hamburg weiter als Ausrichter der Olympischen Spiele 2024 bewerben. Entsprechend laut trommeln in den letzten Wochen sowohl die Olympia-Befürworter als auch die -Gegner. Euphorie gegen Zukunftsangst. Vorfreude gegen Skepsis. Zuversicht gegen schlechte Erfahrungen. Ausgang ungewiss. Gewiss ist dagegen: „Die Hamburgerinnen und Hamburger haben das entscheidende letzte Wort. Diese wichtige Entscheidung sollte auf möglichst vielen Schultern ruhen. Deshalb bitte ich Sie: Beteiligen Sie sich am Olympia-Referendum“, wird Landeswahlleiter Willi Beiß in einem sehr guten, zusammenfassenden Artikel des NDR zitiert. Damit dies passieren kann, bedarf es Transparenz und Information, offenem Austausch und Neutralität, Interessenfreiheit und Ehrfurcht vor der Aufgabe. Das klappt jedoch nicht immer – vorsichtig formuliert. Drei Beispiele:

Nette Gespräche statt Diskussionen

Anfang Oktober war ich bei der Verleihung des Deutschen Sportjournalistenpreises 2015 im Grand Hotel Elysée Hamburg. Nicht ganz unerwartet haben die Olympiabewerbungsbefürworter der Stadt Hamburg die Preisverleihung als Bühne genutzt, um Werbung für die Olympischen Spiele 2024 in Hamburg zu machen. Dagegen gibt es ja per se erst einmal nichts einzuwenden. Wenn man dran glaubt, dann darf man gerne dafür einstehen. Aber bitte nicht so, wie zum Beispiel Dr. Ole Schröder, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern und Schirmherr der Gala: Erst wünschte er sich im Rahmen der einleitenden Podiumsdiskussion von den anwesenden Journalisten, dass sie positiv über die Olympischen Spiele (bzw. die Bewerbung darum) berichten (mit dem Zusatz, der ihm dann weniger leicht über die Lippen geht: “aber natürlich auch kritisch”). Dann rät er einem Hamburger Unternehmer im Zwiegespräch sinngemäß so etwas wie: Nein, das muss man seinen Mitarbeitern auch mal so plump sagen: Geht wählen und wählt für die Olympischen Spiele in Hamburg! Geht’s noch? Ein Arbeitgeber soll seine Position ausnutzen, um indirekt Druck auf seine Mitarbeiter auszuüben, damit die Pro-Olympia wählen?

Werbekampagne_Pro-Olympia_Credit_st-bergweh.de

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Einen ähnlichen Fall gab es noch ein paar Wochen vorher. Anfang September wurde ich zum “Sportstudio” in den Mercedes me Store am Ballindamm zu einer Diskussionsrunde zum Thema „Hamburg und Olympische Spiele“ eingeladen. Wie in so vielen Fällen – egal ob seitens der Befürworter oder Kritiker – fehlte jedoch der argumentative Gegenpol, der aus netten Gesprächen und Werbeveranstaltungen eine tatsächliche Diskussion macht, die tatsächlich zu einer freien Meinungsbildung der Gäste beitragen würde. Die eingeladenen Sportler, unter anderem Snowboarderin Anke Karstens (Olympische Silbermedaille 2014), Hockeyspielerin Eileen Hoffmann (Europameistertitel 2013) und Beachvolleyballerin Sara Niedrig (Europameistertitel 2008 & 2010), waren natürlich allesamt Pro-Olympia. Wer will es ihnen verübeln. Nur wenige Sportstars haben die Courage, dem System IOC den Mittelfinger zu zeigen und eine klare Absage zu erteilen. Einer von ihnen war zum Beispiel die norwegische Snowboardlegende Terje Haakonsen.

Wirklich aufgeregt hat mich deshalb eigentlich nur die ebenfalls anwesende Angela Braasch-Eggert, die Ehrenpräsidentin des Hamburger Sportbundes (HSB). Erst der verbale Seitenhieb gegen Leipzig, das sich 2003 erfolgreich als deutscher Olympiabewerber unter anderem gegen Hamburg durchgesetzt hatte: „Die Olympiabewerbung Leipzigs war von Anfang an aussichtslos.“ Und dann die Aussage, die Menschen – und vor allem die über 500.000 Mitglieder im Hamburger Sportbund – „überzeugen“ zu wollen, beim Bürgerschaftsreferendum „abzustimmen und zwar richtig abzustimmen“. Von mir aus kann der HSB ja gerne Position beziehen. Meines Wissens gab und gibt es da ja auch Möglichkeiten, sich einzubringen. Aber auf das Vokabular komme ich einfach nicht klar – Überzeugungsarbeit ist in meinen Augen von einer solchen Institution fehl am Platze. Ähnliches gilt übrigens auf der anderen Seite: Auch der Allgemeine StudentInnen Ausschuss (AStA) der Uni Hamburg bezieht nach einem mehrheitlichen Votum gegen die Olympia-Bewerbung Hamburgs im Studierendenparlament klar Position. Zu klar vielleicht, denn inwiefern der AStA mit seiner Anti-Olympia-Kampagne nicht das Aufgabenfeld einer Studierendenschaft überzieht, ist hochschulrechtlich nicht eindeutig geklärt, wie welt.de berichtet.

Medien verlassen neutralen Boden

Und die Medien? Eine neutrale Berichterstattung ist in jedem Fall nicht selbstverständlich und dies eben auch nicht immer offensichtlich. So haben sich zum Beispiel mit dem Hamburger Abendblatt, dem Hamburger Wochenblatt, Radio Hamburg und auch hamburg.de führende Hamburger Medien für eine gemeinsame Werbeaktion zusammengetan. „Das Ziel: Die wachsende Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger der Hansestadt für die Spiele weiter zu steigern.“ Die Frage, inwiefern neutrale redaktionelle Berichterstattung dann noch möglich ist, kann sich jeder selbst beantworten. Der NDR hält sich dagegen meines Wissens mit einer derart klaren Positionierung Pro oder Contra Olympische Spiele zurück. Deshalb kann ich nur jedem Bürger Hamburgs empfehlen, sich im Vorwege einer so wichtigen Entscheidung für ihre Heimatstadt umfassender zu informieren als mit einem Blick in die morgendliche Zeitung. Zum Ausgleich und als Gegenpol nur mal ein paar Beispiele, um auch andere Argumente zu lesen: die Initiative NOlympia Hamburg nolympia-hamburg.de, der olympiakritische Blog fairspielen.de, die Online-Zeitung schattenblick.de oder der Wirtschaftsblog Pixeloekonom.

NOlympia_Credit_st-bergweh.de

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Liebe Frau Angela Braasch-Eggert, werter Herr Ole Schröder, sehr geehrte Medienvertreter, ich will von Ihnen nicht “überzeugt” werden. Als Bürger der Stadt Hamburg und der Bundesrepublik Deutschland – und in diesem Fall viel wichtiger: als frei denkender und handelnder Mensch – erwarte ich von Ihnen, dass sie die Themen, die in Ihren Zuständigkeitsbereich fallen bzw. über die sie journalistisch berichten, kritisch und objektiv hinterfragen. Dass Sie belastbare Fakten sammeln und zur Not einfordern. Und dass Sie mich dann informieren oder Möglichkeiten und Plattformen zur Diskussion bieten. Eine Meinung kann und möchte ich mir dann selbst bilden. Und entscheiden erst recht.

Liebe Frau Angela Braasch-Eggert, werter Herr Ole Schröder, wenn die rund 1,3 Millionen wahlberechtigten Hamburger Bürger es auf Basis möglichst umfassender und neutraler Informationen für richtig erachten, dass es 2024 keine Olympischen Spiele in Hamburg geben sollte, dann ist das keine Niederlage für Sie, sondern der Wille derer, die Sie vertreten. Sollte sich die Mehrheit auch ohne Ihre überzogene Einflussnahme Pro-Olympiabewerbung aussprechen, dann – und nur dann – ist das eine wirkliche Willensbekundung. Dann dürfen Sie ruhigen Gewissens loslegen. Aber eben nur dann.

Sehr geehrte Medienvertreter, wenn der Hamburger Sportbund Position in Sachen Olympia-Bewerbung bezieht, dann ist das in gewisser Weise nachvollziehbar und ok. Wie das bei einem journalistischen Grundsätzen folgenden Medium wie einer regionalen Tageszeitung oder einem Radiosender der Fall sein soll, ohne eben diese Grundsätze zu untergraben, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Nicht bei einem gesellschaftlich, politisch und wirtschaftlich so wichtigen Thema wie der Ausrichtung Olympischer Spiele. Ich erwarte mir da einfach mehr Distanz.

Gebt eure Stimme ab!

Wo ich beim aktuellen Bürgerschaftsreferendum mein Kreuz setzen werde, dürfte klar sein. Auch weil ich sowieso ein absoluter Gegner von Institutionen und Großverbänden wie IOC, FIFA, UEFA, FIS, UCI/BDR und Co. bin. Gefangen in einer teuflischen Spirale aus Eigeninteressen der Funktionäre, politischen Muskelspielen und kommerziellem Druck der jeweiligen Industrie machen sie den Sport kaputt. An Beispielen mangelt es dank der Herren Blatter, Platini, Niersbach und Beckenbauer ja gerade nun wirklich nicht. Ein „nein“ zu Olympischen Spielen in Hamburg ist für mich eben auch ein „nein“ zu Olympischen Spielen im Sinne des IOC.

Was ihr wählt, bleibt natürlich euch überlassen. Ich will euch weder belehren, noch überzeugen. Wichtig ist nur, dass ihr euch umfassend informiert und überhaupt eure Stimme abgebt. Und da zitiere ich gerne noch einmal Landeswahlleiter Willi Beiß: „Diese wichtige Entscheidung sollte auf möglichst vielen Schultern ruhen. Deshalb bitte ich Sie: Beteiligen Sie sich am Olympia-Referendum.“

Björn Köcher ist Kommunikationsberater und bloggt seit 2011 unter St. Bergweh. In diesem Gastbeitrag vertritt er seine persönliche Meinung.
Über

Dieser Text wurde von einem Gastautor verfasst.

3 Kommentare

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