Muss der Volksentscheid in Hamburg gerettet werden?

Bilder: Andreas Grieß
Debatte

Am Donnerstag (28.05.2015) hat die Hamburgische Bürgerschaft mit den Stimmen von SPD, Grünen, CDU und AfD einen umstrittenen Gesetzentwurf angenommen. Konkret geht es darum, anlässlich der kommenden Olympiabewerbung der Stadt Hamburg die Möglichkeit von Referenden zu schaffen, die vom Senat ausgehen. Das heißt, die Volksabstimmungen würden über vom Senat vorgelegte Entwürfe, etwa zu einem geplanten Großbauprojekt, stattfinden. Für den Beschluss, ein Referendum durchzuführen, wäre eine Zweidrittelmehrheit in der Bürgerschaft notwendig. Bislang gibt es die Möglichkeit einer Volksabstimmung nur für durch Bürgerbegehren zustande gekommene Themen.

Doch was im ersten Moment nach einer guten Beteiligungsmöglichkeit und mehr direkter Demokratie klingt, stößt auf harsche Kritik. Der Verein Mehr Demokratie reagiert mit gleich zwei Volksinitiativen. Über die Notwendigkeit eines in der Verfassung verankerten Referendums zur Olympiabewerbung sind sich Senat und Bürgerschaft auf der einen und die Kritiker um Mehr Demokratie auf der anderen Seite einig. Mit der Initiative „Lex Olympia“ stellt die Organisation – die übrigens unter anderem 2004 maßgeblich an der Reform des Hamburger Wahlrechts beteiligt war – einen eigenen Gesetzentwurf vor. Dieser fordert, dass ein Referendum nur zu Olympia durchgeführt werden darf und das Gesetz nach einer eventuellen zweiten Bewerbung für die Spiele 2028 außer Kraft tritt.

Doch was spricht aus Sicht der Kritiker eigentlich dagegen, im Zuge der Olympiabewerbung die Beteiligungsmöglichkeiten in Hamburg grundlegend zu ändern? Sie befürchten: Volksinitiativen zum gleichen Thema wie ein Referendum haben wenig Chancen, erfolgreich zu verlaufen. Senat und Bürgerschaft hätten so wesentlich mehr Mitspracherecht bei Volksabstimmungen aller Art. In seiner Petition „Rettet den Volksentscheid in Hamburg“ argumentiert Mehr Demokratie-Sprecher Manfred Brandt gegen die angebliche hohe Hürde einer notwendigen Zweidrittelmehrheit für die Auslösung eines Referendums. Gegen vergangene Volksinitiativen habe es eine solche im Parlament gegeben, etwa gegen den Rückkauf der Energienetze 2013.

Olympia-Koalition ging auf Kritiker zu

Die Olympia-Koalition aus SPD, Grünen und CDU hat in ihrem Antrag bereits einige Punkte der Kritiker übernommen. Zu den Referenden sollen es etwa Informationsbroschüren geben, in denen Gegner ihre Position darlegen können, wenn sie 10.000 Unterschriften gesammelt haben. Dafür wäre keine Volksinitiative nötig. Und die Befürworter der Regierungspläne gehen sogar einen Schritt weiter: Sollten Gegeninitiativen nicht die erforderlichen 10.000 Unterstützer in drei Wochen werben, kann die Bürgerschaft mit einer Zweidrittelmehrheit beschließen, dass eine ausführliche Gegenposition in die Informationsbroschüre aufgenommen werden soll.

Plakat der Volksentscheid-Initiative

Die ersten Plakate der Volksinitiative stehen bereits an Hamburgs Straßen

Doch die Kritiker des Gesetzentwurfes lassen sich damit nicht beschwichtigen. Im Gegenteil: Mit der zweiten Volksinitiative, „Rettet den Volksentscheid“, fordert Mehr Demokratie ein sogenanntes obligatorisches Referendum. In Zukunft sollen demnach Änderungen an der Verfassung, dem Wahlrecht oder Gesetzen statt wie üblich mit einer Zweidrittelmehrheit in der Bürgerschaft nur mit einer Mehrheit in der Bevölkerung zulässig sein.

Unterstützung kommt von der Linken: „Bisher hatte die Bürgerschaft fraktionsübergreifend Fragen der direkten Demokratie stets mit Mehr Demokratie beraten und einvernehmliche Lösungen gesucht und gefunden“, so Christiane Schneider, verfassungspolitische Sprecherin der Fraktion der Linken, auf deren Internetseite. Die Initiatoren des „Bürgerschaftsreferendums“ dagegen hätten die Verständigung mit Mehr Demokratie nicht gesucht, sondern die Gelegenheit eines Olympiareferendums für eine höchst problematische Verfassungsänderung im Schnellverfahren genutzt. Ihre Partei werde den Gesetzentwurf weiter ablehnen und die Unterstützung der beiden Volksinitiativen prüfen.

Wenn die Initiativen erfolgreich verlaufen, könnten die Hamburgerinnen und Hamburger zeitgleich zur Bundestagswahl 2017 darüber abstimmen. Sollte der Entwurf dann angenommen werden, müsste womöglich ein zweites Mal über die Olympia-Bewerbung abgestimmt werden. Somit wäre gegebenenfalls die Rechts- und Planungssicherheit der Olympiabefürworter dahin und die Diskussion über eine Olympiabewerbung könnte sich bis 2019 ziehen. Gregor Hackmack, Mitglied im Landesvorstand von Mehr Demokratie, hält dem allerdings entgegen: „Ein faires Abstimmungsverfahren stärkt das Vertrauen in die Demokratie und letztlich auch die Legitimation der Olympiabewerbung!“

Olympia-Koalition zeigt sich unbeeindruckt

„Wir rechnen nicht damit, dass Initiativen gegen die Olympia-Bewerbung oder das Bürgerschaftsreferendum Erfolg haben“

Auch Karin Prien aus der CDU hält die Befürchtungen, die Initiativen von Mehr Demokratie könnten Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Olympia-Bewerbung erzeugen, für unbegründet: „Eine weitere Abstimmung nach drei bis vier Jahren wäre auch nach der von uns befürworteten Verfassungsänderung wieder möglich.“ Bei der gesetzgeberischen Konzeption des Bürgerschaftsreferendums seien die Beteiligten sowohl den Ratschlägen von Verfassungsrechtsexperten gefolgt, als auch auf die Kritiker des Referendums eingegangen. „Wir rechnen nicht damit, dass Initiativen gegen die Olympia-Bewerbung oder das Bürgerschaftsreferendum Erfolg haben und stehen nach wie vor fest hinter diesen beiden Projekten“, so Prien.

Anjes Tjarks, Fraktionschef der Grünen, argumentiert dagegen, dass die Entscheidung des IOC für oder gegen Hamburg bereits im Sommer 2017 getroffen wird, also vor einer Abstimmung über die Initiativen: „Bei den beiden Volksinitiativen geht es gar nicht um die Frage, ob Olympia in Hamburg stattfinden soll oder nicht. Sie haben mit der Entscheidung des IOC und dem Referendum im November nichts zu tun. Der Senat wird sich verbindlich daran halten, wie die Hamburgerinnen und Hamburger Ende des Jahres abstimmen. Manfred Brandt geht es nicht um Olympia, ihm scheint es schlicht nicht zu passen, dass die Referendums-Vorlage von uns kommt – und nicht von ihm.“

„Der Volksentscheid braucht nicht gerettet werden.“

Olaf Steinbiß, verfassungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, steht den aktuellen Volksinitativen ebenfalls kritisch gegenüber. Für ihn werfen sie Fragen auf, die nicht mit der aktuellen Debatte um ein Referendum zu tun hätten, etwa warum die Quoren nochmals gesenkt werden müssten. Steinbiß sagt: „Es ist das gute Recht von Mehr Demokratie eine Volksinitiative anzumelden und eine Petition zu starten – genauso wie es das gute Recht der Bürgerschaft ist, eine Verfassungsänderung zu beschließen.“ Der SPD-Politiker betont: „Referenden bedeuten eine zusätzliche Möglichkeit der Entscheidung des Volkes, sie machen keine Volksinitiativen kaputt. Der Volksentscheid braucht nicht gerettet werden, er ist trotz der vielen Spekulationen von interessierter Seite nicht in Gefahr.“

Über

Kam 2014 aus dem tiefsten Süden für ein Praktikum nach Hamburg, ist hier hängen geblieben und arbeitet inzwischen für eine NGO im politischen Bereich und ist bald eifrige Französisch- und Politikwissenschaftsstudentin. Einziger Nachteil an Hamburg: zu weit weg von den Bergen. Twitter: @VeronikaZmeier

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