Die Reise zum Knotenpunkt der Erde

Bild: affenfaust Galerie.
Kunst und Kultur

„Steige hinab in den Krater des Kolbenhofes, auf den der Schatten des Urban-Art kurz nach dem Kalenden des Septembers fällt, kühner Reisender, und Du wirst zum Knotenpunkt der Erde gelangen.“
(In Anlehnung an Jule Vernes Die Reise zum Mittelpunkt der Erde)

Bereits nach der zweiten Knotenpunkt muss ich feststellen: Die diesjährige Knoten war erwachsener, aufgeräumter und professioneller. Das kann man gut finden oder auch nicht. Mit meiner Auffassung bin ich nicht allein. Ein Besucher beschrieb es mit den Worten: „Es fällt nicht leicht, die Knotenpunkt 14 zu beschreiben. Sie scheint groß, fast erwachsen geworden zu sein. Dabei vermittelt das Ambiente des Kolbenhofs nach wie vor das Gefühl von Unangepasstheit und Underground.“ 

Letzteres kam jedoch nicht für alle deutlich zur Geltung. Eine Freundin, die an einer der Führungen teilgenommen hat, meinte zu mir: „Mein Eindruck wurde dieses Jahr noch mehr bestätigt, dass diese so alternativ und unangepasst sein wollende Szene, einmal von der Straße geholt, sich doch sehr in Schemen und Formen des Kunstbetriebes einfügt. Zumindest für mich als Street- und Urban-Art-Laien war kaum noch ein Unterschied zu einer anderen Ausstellung zeitgenössischer Kunst festzustellen. Auch konnte ich bei vielen der Werke und Künstler die Szenezugehörigkeit zur Urban Art nicht erkennen.“

So oder so hat sich auch dieses Jahr der Besuch gelohnt! Am ersten Samstag des Oktober begab ich mich auf die abenteuerliche Reise zum Knotenpunkt der Erde. Bei traumhaften Wetter ging es gemeinsam mit Freunden mit dem Rad erst in Das Mehl, um sich für die Reise mit leckerer Pizza zu stärken. Ein wenig zu lange dort aufgehalten, mussten wir uns sputen, um noch vor Sonnenuntergang den Eingang zum Kolbenhof zu finden, denn der Schatten des Urban-Art fällt immer nur ein paar Tage auf das alte Fabrikgebäude in Ottensen.

Über drei Etagen wurde am ersten Oktoberwochenende wieder die Kunst von über 50 international tätigen Künstlern auf dem Urban-Art Festival ausgestellt. Ich war ganz gespannt, was mich dieses Jahr erwarten würde. Konnten meine Erwartungen, welche sich aus dem sehr positiven Eindruck der Knotenpunk13 in meinem Kopf gebildet hatten, wieder erfüllt oder sogar übertroffen werden?

Angefangen haben wir in der dritten Etage, um uns dann nach unten vorarbeiten zu können. Was mir direkt auffiel: die Fülle der Kunstwerke war im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Bei gleichem Platz gab es mehr Künstler und Kunstwerke. Mir wurde schnell klar, dass das eher eine Ausstellung ist, auf der man entweder vier Stunden verbringt oder das Erlebnis aufgrund der Vielfalt der Eindrücke auf zwei Tage aufteilt. Doch leider waren mir beide Optionen nicht gegeben. Die Tatsache, dass ich zu wenig in die Tiefe der einzelnen Kunstwerke gehen können würde, machte mich ein wenig sauer auf mich selbst.

Es gab wirklich sehr viel zu sehen: von Bildern, über Installationen, Skulpturen aus diversen Materialien, Styrocuts, Klein- sowie Großformate, 2D, 3D und und und. So wie letztes Jahr lebte die Knotenpunkt von ihrer Diversität. Denn das macht Urban Art aus: ihre Vielfältigkeit. Meine persönlichen Highlights waren das riesige Bild „How to win your heart“ von El Bocho, Zipper – Die Rakete mit ihrer Kunst in Kisten und dem „Tribute to OZ“-Styrocut (auch wenn dies ein tragischer Zufall war), Björn Holzwegs Stubentiger, Laurence Valieres riesiger Polarbär (was es damit auf sich hat, könnt ihr auch hier nachlesen), R2-D2 von Doppeldenk und das Mural „Spider“ von Nychos.

Besucher konnten aber nicht nur Kunst ansehen, sondern auch beim „Live Painting“ selbst gestalten. Bei der Aktion von We Are Visual lagen zwei Leinwände in einem Schießbudenstand auf dem Boden. An der Decke waren mit Farbe gefüllte Becher, Spielkarten und diverse andere Objekte mit Schnüren befestigt. Mit einem Luftgewehr konnte jeder Besucher gegen eine kleine Spende drei Schuss abgeben. Nachdem die Aktion beendet war, wurden die Bilder Teil der Ausstellung.

Die Besucherseite ist das eine, aber dieses Jahr hat mich auch die Sicht des Veranstalters interessiert, schließlich erleben sie eine Ausstellung aus einer anderen Perspektive als der Besucher. Dazu habe ich Robert Neuendorf (Kurator) ein paar Fragen zur Knotenpunkt 14 gestellt.

Interview Robert Neuendorf

Knotenpunkt 14 vorbei, Party vorbei. Was geht dir nach dem Ende des Festivals durch den Kopf?
Robert: Eine Erkältung. Scheinbar hat mein Körper bis zum Ende mitgespielt, doch die 14 Tage mit drei unterschiedlichen Künstlern auf dem Steiger, die immer kälter werdenden Tage und der leider nicht komplett zu entfernende Feinstaub des Kolbenhofs, haben mir den Rest gegeben. Mal davon abgesehen, totale Überwältigung! Besucherrekord. Verkaufsrekord. Begeisterung auf allen Ebenen. Wir sind momentan noch mit dem Abbau und Bilderrückversand beschäftigt, aber so langsam realisieren wir, was wir dort erlebt haben.

Beim Vorstellungsgespräch fragt man häufig nach Stärken und Schwächen. Dich frage ich nun nach deinem Wow-Moment und deinem Panik-Moment auf der diesjährigen Knoten.
Wow Moment: Einlassstop um 00:30 bei Dj Phono. Panik Moment: Einlassstop um 00:30 bei Dj Phono.

Man hat gemerkt: Ihr habt gelernt aus 2013 und unter anderem Essen und mehr Getränke angeboten. Was gab es noch für Learnings aus 2013? Was habt ihr dieses Jahr bewusst anders gemacht?
Einen Tag vor Eröffnung gab es ein Artist-Dinner, bei dem viele Künstler anwesend waren und sich so schon vorab näher kennen lernten konnten. Wir hatten mit Tim Mälzer hier einen starken Partner, der uns mit seiner Speisenwerft vor und während des Festivals unterstützt hat.
Zudem gab es zum ersten Mal die Möglichkeit, Editionen zu erwerben. Somit konnten wir auch Besuchern mit etwas kleinerem Taschengeld eine Freude machen.

Die Knotenpunkt wird größer und bekannter. Aber mit dem Fame kommt auch die Herausforderung, authentisch zu bleiben und die Straßen-Credibility zu behalten. Wie siehst du dieses Spannungsverhältnis und wie wollt ihr es auflösen?
Aus meiner Sicht erkenne ich kein Spannungsverhältnis. Ich kenne viele „Mitspieler von der Straße“. Ein großer Haufen war während der fünf Tage anwesend und ich weiß, dass diese feiern, was wir tun. Mit der affenfaust Galerie wollten wir immer einen Ort des Zusammenkommens für die Szene schaffen. Bei jeder Ausstellungseröffnung sind nicht nur Kunstliebhaber und Sammler anwesend, sondern auch viele Künstler. Es fühlt sich ein bisschen wie eine große Familie an.

Knotenpunkt 15: Geht die Reise weiter und wenn ja, wo geht sie hin?
Wir rechnen fest mit einer Fortsetzung. Ob der Knotenpunkt wieder im Kolbenhof stattfinden wird, hängt von den Plänen des Bezirks Altona ab. Momentan entwickelt dieser einen neuen Bebauungsplan für das alte Industrieareal. Wann dieser Plan in die Tat umgesetzt wird, steht aber zur Zeit noch nicht fest. Ob es uns gelungen ist, Hamburg wieder auf die internationale Karte der Urban Art zu setzten, wird sich in den nächsten Monaten zeigen. Jedoch ist sicher, dass wir weiter arbeiten werden. Es hat uns unfassbar viel Spaß gemacht, in Zusammenarbeit mit begeisterten Wohnungseigentümern die Straßen mit großflächigen Fassadenmalereien zu bespielen und währenddessen eine sehr intensive Zeit mit den jeweiligen Künstlern zu verbringen. Ich sehe dies als eine sehr große Aufgabe für 2015.

Mein Gesamteindruck

Die Qualität des Urban Art Festivals ist im Vergleich zu 2013 noch einmal gestiegen. Wer also von euch noch nie dort war, der sollte sich die Ausstellung nächstes Jahr nicht entgehen lassen. Man sieht dort viele spannende Werke und trifft auf entspannte Menschen. Auch das Vorevent mit den Murals von 1010, Nychos und Elmar Lause fand ich großartig! Mehr davon bitte, denn ein bunteres Hamburg schadet keinem.

Zum Schluss noch zwei lieb gemeinte Hinweise an die affenfaust Galerie und an mich selbst als Besucher.
An die affenfaust: Weniger ist oft mehr. Und drei bis vier Künstler weniger wären gut gewesen. Auch wenn der Kolbenhof groß ist, gingen einige Kunstwerke in der Menge unter.
An mich selbst: Janka, plane nächstes Jahr mehr Zeit für das Festival ein. Und geh auf eine der anschließenden Partys im Club!

Bilder: mit freundlicher Genehmigung der affenfaust Galerie.

Über

Hat sich 2007 in Hamburg verliebt, als sie für das Filmfest Hamburg während ihres Medienökonomie-Studiums gearbeitet hat. Seit 2011 lebt Janka nun in Hamburg und arbeitet als IT Project Managerin Twitter: @JankaBeee - sterndesnordens.de Stellvertretende Redaktionsleiterin von Elbmelancholie

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