Kann es etwas Langweiligeres geben als Bezirkswahlen?

Foto: SPD Schleswig-Holstein via Flick / Lizenz: CC-by
Debatte

Es ist Sonntag, kurz nach 17 Uhr. Das Wetter ist gut, also bin ich im Stadtpark und liege in der Sonne. Aber da ist diese Wahl, weshalb ich ungeduldig immer wieder mein Handy in die Hand nehme und in Tickern und auf Twitter den aktuellen Stand abrufe. Gibt es schon irgendetwas Neues? Wann kommen die Ergebnisse? Mühsam habe ich mir selbst in den letzten Wochen eine Meinung abgerungen und nun will ich wissen, wie der Rest der Wahlberechtigten sich entschieden hat. Wie werden die kommenden Jahre aussehen? Irgendwann steht das Ergebnis fest und allerorts wird es auf Facebook und Twitter von meinem Bekanntenkreis direkt kommentiert.

Die Wahl, von der ich hier rede, ist nicht die Europawahl und es ist auch nicht die Bezirkswahl, sondern die Abstimmung zu HSVPLUS. Als politisch interessierter Bürger ist mir die Groteske dieser Situation bereits in der Sonntags-Sonne bewusst. Allein: Was soll ich tun, der Mitgliederentscheid interessiert mich, während die Bezirkswahlen den Charme eines Wettbewerbs im „Spaghetti nach der Größe sortieren“ versprühen. Und das Schlimme: Als HSV-Mitglied habe ich den Eindruck, dass der Ausgang des Mitgliederentscheids meinen Alltag in den kommenden Monaten stärker beeinflussen wird, als die Frage, wer künftig über die Errichtung von Kreisverkehren statt Ampeln entscheiden wird.

Ich möchte also möglichst schnell erfahren, was in einem Sportverein entschieden wird. Die am Montagmorgen veröffentlichten Ergebnisse der Bezirkswahl vergesse ich jedoch nachzuschauen und erinnere mich erst am Abend wieder daran. Und um das Ganze noch ins Absurde zu führen: Beim HSV ging ich nicht zur Abstimmung, bei der Bezirkswahl habe ich aber brav meine Kreuze gemacht. Was stimmt eigentlich nicht mit mir?

Wahlbeteiligung_Bezirkswahlen-Hamburg-2014

Nichts. Mit mir stimmt alles, aber mit diesen Wahlen stimmt eine Menge nicht. Schaut man sich die Wahlbeteiligung an, die in meinem Bezirk mit 45 Prozent sogar noch vergleichsweise hoch war, bin ich mit dieser Auffassung offenbar sogar in der Mehrheit. Am Wochenende erduldete ich die die langweiligste Wahl, die ich je erlebt habe. Und das sagt jemand, der in einem Ort aufgewachsen ist, in dem seit 1946 jeder Bürgermeister von der CDU gestellt wurde und in der die meisten Parteien keinen Gegenkandidaten mehr aufbieten.

Nicht, dass der Ausgang am Sonntag klar war. Aber die Wahl erinnerte mich an eine Hochschul-Wahl: Es gibt eine lange Liste mit Namen, die der Normalsterbliche zuvor noch nie im Leben gehört hat, hier und dort hängt ein lieblos zusammengeschustertes Wahlplakat und am Ende wählt jeder mangels besserer Maßstäbe nach Alter, Geschlecht oder Beruf (früher Studiengang) der Kandidaten. Ein Auswahlverfahren, von dem mir mehrere Personen berichteten.

Die Bezirkslisten von SPD und CDU umfassten jeweils etwa 60 Kandidaten. Das ist, als wenn man ein Kind in eine Süßwarenfabrik steckt und sagt, es dürfe sich innerhalb der nächsten halben Stunde ein Teil aussuchen. Die entsprechenden Süßwaren sind dabei genauso mitteilungsfreudig wie viele Politiker. Ich wähle angeblich „Nachbarn“, aber warum schaut keiner Mal vorbei? Es gab auf meinen Wahlzettel tatsächlich eine nach dem Stadtteil benannte Bürgerinitiative, die weder im Internet zu finden ist, noch je etwas in meinem Briefkasten hinterlassen hat.

Nein, nicht ich habe es versäumt, die Politik hier spannend zu finden und mir die Infos alle selbst zusammen zu suchen. Und nein, auch die Medien sind nicht allein schuld. Im Bezirk Mitte, in dem die Kollegen von Mittendrin ausgiebige Bezirkspolitik-Berichterstattung machen, war die Wahlbeteiligung am niedrigsten. Versäumt hat es die Politik, mich für sie zu begeistern. Im Gegenteil: Wer 60 Kandidaten aufstellt, bietet keine Positionen, er zündet Nebelkerzen. Im Volkspark wird der Einsatz von Bengalos sanktioniert – höchste Zeit das in den Bezirken auch zu tun!

Über

Andreas kam 2010 zwei Monate für ein Praktikum nach Hamburg. Im Sommer 2012 kehrte er nach abgeschlossenem Studium zurück, um hier als Journalist zu arbeiten. Twitter: @youdazandreasgriess.de Redaktionsleiter von Elbmelancholie

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