Was lange währt, wird endlich gut. Zum achten Mal seit 1979 wird am 25. Mai 2014 das Europäische Parlament gewählt. Doch zum ersten Mal haben die EU-Parteien gemeinsame Spitzenkandidaten aufgestellt, die um das Amt des Kommissionspräsidenten kandidieren. Auch deshalb kann das EU-Parlament heute immer mehr mit den uns eher vertrauten nationalen Parlamenten verglichen werden. Das EU-Parlament mit seinen ab Mai 751 Abgeordneten aus den 28 EU-Mitgliedstaaten ist als gleichberechtigter Akteur neben dem Rat der Europäischen Union (Ministerrat) an nahezu allen EU-Gesetzen beteiligt und hat so einen großen Einfluss auch auf die nationalen Gesetzgebungen.
Die Saat für einen spannenden Wahlkampf ist also eigentlich gelegt. Zusätzlich zu den neu geschaffenen politischen Rahmenbedingungen gibt es kontroverse Themen, die auf EU-Ebene entschieden werden und über die im Wahlkampf offensiv gestritten werden sollte: Als Hamburger fällt einem durch die Ereignisse der letzten Monate natürlich sofort die Flüchtlingspolitik ein. Oder das Transatlantische Freihandelsabkommen, welches momentan zwischen der EU und den USA verhandelt wird. Leider wird es allerdings sowohl von den politischen Parteien als auch den Medien versäumt, diese Ausgangslage zu nutzen und durch einen spannenden Wahlkampf sowie einer angemessenen Berichterstattung den Bürgern die Entscheidung am Wahlsonntag zu erleichtern.
Als ich Anfang Mai durch Hamburg gelaufen bin, dachte ich mir, dass ich in aller Ruhe vier Stunden lang die unterschiedlichen Plakate an der Strecke anschauen könne und danach ein differenziertes Bild von den unterschiedlichen Positionen der Parteien hätte. Ich musste gar nicht lange warten und sah schon das erste Plakat mit dem Slogan: „Mehr Chancen und Freiheiten. So will ich Europa“ [CDU]. Die Aussage ist zwar sehr vage, aber Chancen und Freiheiten hören sich super an. Das nehme ich. Doch nicht viel später sprang mir der Spruch „Ein Europa der Chancen. Nicht der Arbeitslosigkeit.“ [SPD] ins Auge. Ich musste zweimal hinschauen, um mich zu vergewissern, dass es eine andere Partei ist, die auch hier mit Chancen wirbt und sich zusätzlich gegen Arbeitslosigkeit einsetzen will. Klingt ebenfalls gut, Arbeitslosigkeit ist nicht so toll. Nachdem ich mich damit abgefunden habe, dass mir die Wahl wohl doch nicht so leicht gemacht wird, fällt mir das dritte Plakat auf. Farblich deutlich von den beiden anderen abgegrenzt, springt mir auch hier die Chance entgegen. Dieses Mal verpackt im Motto: „Chancen statt Schulden. Das braucht Europa.“ [FDP].
Auch wenn ich jetzt nicht wirklich schlauer war als zuvor, so war ich mir dennoch sicher, dass sich nach der Wahl alles zum Guten wenden wird. Bei so vielen Chancen, die mir versprochen werden, muss ich mich jetzt immerhin nur noch zwischen Freiheit, (keine) Arbeitslosigkeit und (keinen) Schulden entscheiden. Und ich wusste, dass ich mich im Notfall immer noch auf unsere Bundeskanzlerin verlassen kann, die mir ebenfalls auf vielen Plakaten entgegen lächelt.
Zur Wahl stehen in Deutschland allerdings noch 22 weitere Parteien, die genauso um die Gunst des Wählers buhlen und anscheinend eine andere Agentur beauftragt haben. Neben wenig überraschenden Aussagen, wie „Klimaschutz ohne Grenzen“ [Grüne] sowie „Passt auf. Frieden sichern, Millionäre besteuern, Altersarmut verhindern, Beschäftigung schaffen, Demokratie stärken.“ [Linke], sind mir einige weitere Parteien besonders aufgefallen.
Negativ hervorgestochen sind unter anderem Plakate zum Thema Einwanderung, wobei hier die eindeutige Zuordnung noch schwerer fällt als bei den oben erwähnten Chancen („Einwanderung braucht strikte Regeln“ [AfD] oder „Das Boot ist voll“ [NPD]). Wer glaubt, dass die AfD lediglich eine Anti-Euro-Partei ist, sollte einmal dieses Quiz durchführen. Vielleicht nimmer er danach Abstand von der Partei.
Positiv aufgefallen ist mir hingegen der folgende Wahlslogan, der mehr als Weckruf für alle Unentschlossenen sowie Nichtwähler und weniger als Werbung für die eigene Partei verstanden werden kann: „Wer nicht wählt, darf nicht meckern.“ [Piraten]
Auch die Medien tragen ihren Teil dazu bei, dass es bisher nicht zu einem wirklichen Wahlkampf gekommen ist. Oder hat einer von euch etwas vom TV-Duell zwischen den Spitzenkandidaten Martin Schulz und Jean-Claude Juncker am vergangenen Donnerstag mitbekommen? Es wurde zwar auf ZDF live übertragen, fand aber in den deutschen Zeitungen wenig Beachtung. Die heutige Debatte zwischen den Spitzenkandidaten aller EU-Parteien wird darüber hinaus lediglich vom Spartensender Phoenix live übertragen, während die ARD und das ZDF Fußball (Relegationsspiel des HSV) beziehungsweise einen Spielfilm ausstrahlen. Während der Debatte, die um 21:00 Uhr startet und über diesen Livestream verfolgt werden kann, haben die Zuschauer immerhin die Möglichkeit, ihre Fragen per Twitter (#TellEUROPE) direkt an die Kandidaten zu stellen.
Zum Ende noch einige wichtige Fakten zur Europawahl:
- In Deutschland wird am 25. Mai 2014 gewählt.
- Im neuen EU-Parlament werden 96 Abgeordnete aus Deutschland sitzen.
- Durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gibt es in Deutschland keine Sperrklausel. Dadurch ziehen Parteien ab etwa 0,5 Prozent der Stimmen in das EU-Parlament ein.
- Hamburger Kandidaten mit guten Chancen sind: Dr. Roland Heintze (CDU), Knut Fleckenstein (SPD) und Fabio De Masi (die Linke). Eine Auflistung aller deutschen Kandidaten gibt es hier.
- Angela Merkel steht nicht zur Wahl.
- 25 Parteien stehen in Deutschland zur Wahl. Gewählt werden Bundes- bzw. Landeslisten.
- Aktuelle Umfragen prognostizieren die folgende Sitzverteilung deutscher Parteien: CDU 37, SPD 27, Grüne 10, Die Linke 8, AfD 6, FDP 4, Piraten 2, NPD 1, Freie Wähler 1.