Hamburg Marathon: Impressionen von der Strecke

Foto: (c) Guido Ziegerahn
Sport

Ein bisschen nervös war ich schon, bevor es los ging. Die Zeiger gingen nur langsam weiter und der Weg zum Startpunkt dauerte auch unnötig lange. Doch dann stieg der Lärmpegel und ich wusste, dass es kein Zurück mehr gibt. Mein Flieger hob ab und ich versuchte, ein bisschen zu schlafen. Irgendwo habe ich doch gelesen, dass man vorm Marathon viel schlafen soll, um nicht unnötig Energie zu verbrauchen.

Wenige Tage später wiederholt sich die Situation: Ich bin nervös und warte darauf, dass der große Zeiger endlich wieder umspringt. Doch dieses Mal sitze ich nicht im warmen Flugzeug, sondern stehe unterm Hamburger Fernsehturm und versuche, mich bis zum Start des 29. Haspa Marathons in 30 Minuten irgendwie warm zu halten. Ich glaube es nicht, dass dies das perfekte Wetter zum Laufen sein soll, ist mir doch ein bisschen zu kalt. Apropos kalt: Im Winter habe ich doch auch die schmerzhaften Intervalle im Parc du Cinquantenaire, die Trainingseinheiten vorm Sonnenaufgang und die langen Läufe am Wochenende geschafft. Also nochmal kurz die Ziele wiederholen und dann los: Die Priorität ist, meinen ersten Marathon erfolgreich zu beenden. Gerne in unter vier Stunden.

Neun Minuten nach den Profis überquere ich heute zum ersten Mal die Start- und Ziellinie und versuche, mich erstmal zu orientieren. Nach wenigen Metern passiere ich das Heiligengeistfeld und die Reeperbahn, um die ersten sechs Kilometer durch Altona – in Richtung Othmarschen – die Innenstadt zu verlassen. Bei Tageslicht wirkt die Reeperbahn irgendwie verlassen und trostlos, obwohl die Straßen mit vielen Zuschauern gefüllt sind. Macht das vielleicht den Flair der Straße aus, dass sie zum Leben erweckt wird, wenn andere Gegenden sich zur Ruhe legen? Ich bin mir unschlüssig und wundere mich schon über das nächste Bild, das sich mir bietet: Vor mir läuft doch tatsächlich einer im HSV Trikot, deutlich vorm BVB Trikot, die Bernadottestraße entlang. Wie lang das wohl gut geht? Da sehe ich auch schon jemanden im Trainingsanzug des SC Sternschanze in Lauerstellung. Eigentlich müsste ich beobachten, ob der HSV seine Spitzenposition halten kann oder am Ende doch von der Schanze geschluckt wird.

Nach den ersten sieben Kilometern macht die Strecke endlich die ersehnte Linkskurve auf die Elbchaussee. Bisher läuft’s bestens, ich muss mich sogar immer wieder bremsen: Man gewinnt schließlich nicht am Anfang, sondern verliert am Ende. Die Knochen halten ebenfalls und mein Körper hat mittlerweile auch Betriebstemperatur erreicht. Stimmt vielleicht also doch mit der perfekten Lauftemperatur. Während die Zuschauer zum Teil mit Mantel und Schal an der Strecke stehen, genieße ich die größer werdenden Häuser auf der linken sowie den Blick auf den Hafen auf der rechten Seite und lasse meine Gedanken wieder abschweifen: Wusstet ihr, dass sich viele Läufer um einen herum anhören wie ein leichter Sommerregen auf einem Zeltdach?

Nachdem die ersten Kilometer dazu dienten, ortsfremden Läufern die westlichen Stadtteile Hamburgs zu präsentieren, ging es ab Kilometer elf vorbei an den Landungsbrücken in Richtung Binnenalster ins Zentrum, wo nach einem Kilometer im windgeschützten Wallringtunnel durch die kühle Luft kurzzeitig der Wunsch aufkam, am Staffelwechselpunkt den Stab abzugeben und mich in einem der umliegenden Cafés aufzuwärmen. Doch ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es nicht mehr weit bis zur Halbzeit ist und ich tatsächlich noch gut in der Zeit liege. Nach einem letzten Blick über die Alster in Höhe des Langen Zuges und 21 gelaufenen Kilometern überquere ich schließlich nach 1:52 Std. die Matten und freue mich auf ein baldiges Wiedersehen mit ihr bei Kilometer 39.

In der Zwischenzeit muss ich allerdings noch den kompletten Norden erkunden, der über die Maria-Louisen-Straße, vorbei am Stadtpark und durch die City Nord erreicht wird. Nach einem kurzen Ärger über die Steigungen hoch zum Stadtpark freue ich mich über die zusätzliche Motivation, die ich von ein paar Freunden an der Strecke bekomme. Diese zusätzliche Kraft kann ich gut gebrauchen, da ich mich mittlerweile mehr mit dem Straßenbelag vor mir als der schönen Umgebung beschäftige. Und in ca. fünf Kilometern wartet bestimmt auch noch der Mann mit dem Hammer…

Doch am nördlichsten Punkt der Strecke, bei Kilometer 31 in Ohlsdorf, ist vom Mann mit dem Hammer immer noch nichts zu sehen. Da die folgenden elf Kilometer Neuland für mich sind, hole ich mir in Gedanken trotzdem guten Rat von unserer Bundeskanzlerin:

Ich: „Du Angie, wie ist das eigentlich mit dem Neuland? Wie soll ich mich da am besten verhalten?“

Angie: „Mach am besten weiter so wie bisher. Ist doch alles gut gegangen soweit. Was soll schon noch kommen?“

Immerhin hat sie mir nicht ihr vollstes Vertrauen ausgesprochen.

Die Frage, was noch kommen soll, kann ich kurz danach doch gut beantworten: Die Kilometer werden immer länger. Das muss doch ein Fehler beim Planen der Strecke gewesen sein, zu Beginn war es doch auch nicht so weit… Und die Alster erst, war die vorhin auch schon so lang? Die zieht sich ja wie ein Kaugummi. Mittlerweile habe ich keinen Blick mehr für die Sicht auf die Stadt, sondern nur noch für die blaue Linie direkt vor mir. Mein Motto für die letzten 3 Kilometer: „Bloß keinen Meter zu weit laufen!“

Die letzten Kilometer nutzen viele Läufer, um für die noch kommenden Meter Kraft zu tanken und gönnen sich kurze Pausen. Während dieser Phase entbrennt auch in mir ein innerer Konflikt. Meine Beine sagen: „Wir wollen auch eine Pause machen, lass uns kurz anhalten!“ Mein Kopf erwidert: „Wenn wir jetzt stehen bleiben, dann war‘s das für heute. Also weiter geht’s!“

Pünktlich zum letzen Kilometer sehe ich die berühmte Flamme Rouge, die heute in einem dezenten blau/weiß (glaub ich…) gehalten ist. Ich denke mir, dass ich die letzen 1000 Meter genießen und die Stimmung auf mich wirken lassen sollte. Geht leider nicht, auch diese 1000 Meter müssen noch gelaufen werden…

Nach der letzten Rechtskurve auf die Karolinenstraße sehe ich ihn nun endlich wieder: Den roten Teppich! Nach unzähligen Trainingskilometern in Brüssel und 42,195 Kilometern in 3:43 Stunden rund um und in Hamburg überquere ich die Ziellinie und bin nun stolzer Finisher des 29. Haspa Marathons in Hamburg!

Über

Ingo kam erstmals 2010 zum Studium in unsere Stadt und antwortet mittlerweile auf die Frage, woher er komme, mit “Hamburg”. Durch seinen Job ist er momentan allerdings selten in Hamburg, wodurch er aber einen Blick “von außen” auf die Ereignisse bekommt. Seine Interessen an Politik und Sport finden sich auch in seinen Artikeln auf Elbmelancholie wieder.

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